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Ich will beten mit dem Geist, aber ich will auch beten mit dem Verstand;
1.Kor. 14, 15
Liebe gläubiger Leser,
beim Lesen dieses Losungswortes war mein erster Gedanke: „Nicht dieses Wort, Herr! Hier geht es ja um das Sprachengebet und im weiteren um die Geistesgaben, und du weißt, wie entgegengesetzt die Standpunkte und Sichtweisen dazu sind. Ich will doch nicht noch Öl ins Feuer gießen. Außerdem ist über dieses Thema doch schon so viel gesagt und geschrieben worden!“ Und so wollte ich mir fast ein anderes Bibelwort suchen. Doch dann musste ich an den Gemeindebrief vom April denken, wo wir aufgefordert wurden, Rechenschaft über das abzugeben, was wir glauben. So will ich einfach meinen ganz persönlichen Standpunkt dazu darlegen, wohl wissend, dass ich eher ein Fragender als ein Kenner bin.
Die Unsicherheit und Zurückhaltung auf diesem Gebiet rührt m. E. daher, dass es im Laufe der Kirchengeschichte keine ausgeprägte Lehrtradition zum Wesen und Wirken des Heiligen Geistes und noch viel weniger zu den Geistesgaben gegeben hat. Und wenn doch, dann oft im Zusammenhang mit Missbrauch, Entartungen oder Irrlehren. Selbst als dieses Thema etwa in den letzten 100 Jahren wieder stärker ins Blickfeld rückte, war es leider wiederholt mit negativen Erfahrungen Einzelner oder ganzer Gemeindegruppen verbunden und führte zu schmerzlichen Trennungen. Ich kann verstehen, wenn man sich da gar nicht erst damit belasten will. Aber vergegenwärtigen wir uns einmal: Selbst unser Abschnitt 1. Kor. 14 wäre vielleicht nicht geschrieben worden, wenn es in der Gemeinde Korinth keinen Missbrauch gegeben hätte, mit dem sich Paulus auseinandersetzen musste.
Was mich allerdings erstaunt, ist die Tatsache, dass er am Ende nicht schlussfolgert: „Lasst ja die Finger davon!“ sondern sinngemäß sagt: „Achtet darauf, dass alles zu Förderung des Evangeliums und zum Wachstum der Gemeinde beiträgt!“ Übrigens prangert er noch viel stärker den Missbrauch beim Mahl des Herrn an und spricht sogar von Konsequenzen für Leib und Leben (1. Kor. 11, 20-34), aber keiner von uns ist je auf den Gedanken gekommen, deswegen generell lieber auf das Mahl des Herrn zu verzichten.
„Ja“, sagen viele, „es geht ja gar nicht nur um den Missbrauch, sondern seit Abschluss des biblischen Kanons haben die Geistesgaben keine Bedeutung mehr“. Als Belegstelle wird dazu 1. Kor. 13, 8-10 angegeben. Natürlich ist eine solche Sichtweise legitim. Meine Frage ist nur, ist sie so irrtumsfrei, dass ich die Konsequenzen daraus in Kauf nehmen kann. Die logische Konsequenz ist dann nämlich, dass alles was dennoch heute in dieser Hinsicht geschieht, nicht vom Heiligen Geist sein kann, sondern eine große Lüge oder Werk des Teufels ist, auch wenn es sonst nicht im Widerspruch zu Gottes Wort steht. Aber was, wenn das nicht stimmt? Dann mache ich mich der Verunglimpfung des Heiligen Geistes schuldig, und wie der Herr das beurteilt, ist uns aus Mt. 12, 32 bekannt. Der Pharisäer Gamaliel, bei dem der Apostel Paulus im Worte Gottes unterrichtet wurde, hat einmal in Apg.. 5, 38-39 einen weisen Rat gegeben, den ich persönlich in diesem Zusammenhang beherzigen möchte. Heißt das aber nicht, sich schutzlos einer möglichen Gefährdung auszusetzen?
Nun, die Gemeinde ist berechtigt und verpflichtet, alles am Maßstab des ganzen Wortes Gottes zu prüfen. Dazu werden wir immer wieder aufgefordert. Und einige Kriterien gibt es schon zur Beurteilung. Ich will zu unserer Thematik nur einige kurz nennen:
1. Der Heilige Geist wird sich niemals über das Wort Gottes hinweg setzen. Wo es also offensichtliche Widersprüche zur Schrift gibt, ist dies abzulehnen.
2. Geistesgaben sind Gnadengaben, also Geschenke, auf die kein Rechtsanspruch besteht. Die Echtheit des Glaubens also vom Vorhandensein einer bestimmten Gabe abhängig zu machen („zweite Salbung“), ist deshalb biblisch nicht begründbar.
3. Geistesgaben sind nicht unbedingt ein Zeichen geistlicher Reife, wie die Gemeinde Korinth beweist. Sie sind aus meiner Sicht eher Hilfen in Zeiten des Umbruchs oder des Neuanfanges, die auch mal wieder in den Hintergrund treten können. Sie sind also Dienstgaben, auf die man sich nichts einbilden kann.
4. Einige Geschehen im Zusammenhang mit dem Heiligen Geist, besonders im Alten Testament, erwecken den Eindruck, dass da etwas über einen kommt, dessen man sich gar nicht erwehren kann (z. B. die Berufung der 70 Ältesten bei Mose in 4. Mose 11, die Berufung Sauls in 1. Sam. 10, der Tanz Davids vor der Bundeslade in 2. Sam. 6, 16 u. ä.). Unser heutiger Vers zeigt aber, dass man schon die Entscheidungsfreiheit und damit auch die Verantwortung hat, ob man sich so oder so verhält.
Es gäbe sicher noch viel zu diesem Thema zu sagen, aber das würde diesen Rahmen sprengen. Dazu, was es heißt, „mit dem Verstand zu beten“, konnte ich noch gar nichts sagen. Das kann vielleicht ein andermal nachgeholt werden, wenn es wieder um das Thema Gebet geht.
Mein Anliegen heute war und ist es, dass wir bei unterschiedlichem Schriftverständnis, sofern dies jeweils vom biblischen Befund gedeckt ist, dem anderen nicht sofort Oberflächlichkeit oder mangelnde Bibeltreue unterstellen, oder ihm gar den rechten Glauben absprechen.
Bei aller Verantwortung für das Wohl der Gemeinde sollten wir darauf vertrauen, dass der Herr der Gemeinde auch selbst über sie wachen und sie ans Ziel bringen wird.
Für heute herzliche Grüße
Euer Bruder
Karl-Heinz Pohle