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Wenn du den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel sein wie der Mittag.
Jesaja 58 Vers 10
Lieber gläubiger Leser,
als wir bei einem der Brüder-Wandertage in und um Burgstädt unterwegs waren, sind wir zum Abschluss noch auf den Taurastein, einen Aussichtsturm, gestiegen. Dabei fiel mir auf, dass an jeder Stufe der Name des Sponsors stand, der bei der kurz zuvor erfolgten Restaurierung jene Stufe bezahlt hatte. Dieses Bild oder auch Bilder von Spenden-Galas, die gegen Ende des Jahres immer Hochkonjunktur haben, kamen mir in den Sinn, als ich das obige Wort gelesen habe. Sollen wir also zur Wohltätigkeit animiert werden, mit dem Versprechen, dass wir dafür lobend erwähnt werden oder ganz groß rauskommen?
Ein ganz anderes Bild tat sich mir aber auf, als ich das ganze Kapitel auf mich wirken ließ. Da sind Menschen, nicht etwa gottlose, wie man meinen könnte, denn ihnen wird bescheinigt, dass sie nach Gott fragen und seine Wege ken- nen lernen möchten. Sie lassen sich das Ganze sogar etwas kosten, indem sie fasten und andere Beschwernisse auf sich nehmen. Aber jetzt beklagen sie sich darüber, dass Gott das scheinbar nicht zur Kenntnis nimmt.
Doch anstelle von anerkennenden Worten muss Gott mit ihnen Klartext reden, denn sie haben arge Probleme im mitmenschlichen Bereich. Da ist von Zank, Hader und sogar vom Schlagen im Zusammenhang mit der täglichen Arbeit die Rede (Vers 3 + 4) und das betraf wahrscheinlich nicht nur die Sklaven, die es damals gab, sondern auch die Leute aus dem eigenen Volk.
In der weiteren Aufzählung wird von Schlingen der Bosheit, von gewalttätig Behandelten, von Hungrigen, Elenden und Nackten gesprochen, die entweder auf ihr Konto gehen oder die ihnen zumindest egal zu sein scheinen (Vers 6 + 7). Und dann wird noch das unheilvolle Reden und das Bloßstellen anderer genannt, das dem Herrn zuwider ist (Vers 9).
Diese Zwiespältigkeit des Menschen will uns immer gar nicht in den Kopf, auf der einen Seite empfindsam, kultiviert, vielleicht sogar religiös, andererseits brutal, rücksichtslos, egoistisch.
Denken wir nur an die Fälle, wo sich ein treusorgender Familienvater als Kindesentführer oder –mörder entpuppte. Aber es geht gar nicht nur um die ganz krassen Fälle, denn die Bibel bescheinigt uns, dass die Anlage zu dieser „Schizophrenie“ in jedem Menschen vorhanden ist. Wir können uns auch abschminken, dass der Mensch im Laufe der Entwicklung dazugelernt hat und „edler“ geworden ist. Es gab ja mal die Idee vom „Mensch neuen Typus“, aber gerade daran ist jene Gesellschaftsordnung gescheitert.
Dass das nicht nur ein Problem von damals war, zeigt auch die Tatsache, dass Jahrhunderte später nahezu die gleichen Missstände im Neuen Testament angeprangert werden. Lest mal unter diesem Blickwinkel den gesamten Jakobusbrief, das ist ernüchternd. Und erschreckend ist, dass das offensichtlich bis in die Gemeinde hineinreicht.
Unser obiges Losungswort ist also nicht in erster Linie eine Anleitung, wie man Pluspunkte bei Gott sammeln kann, sondern im Umkehrschluss muss gesagt werden: Wer auf dieser Ebene schuldig wird, beschädigt letztlich sein Ver- hältnis zu Gott. Er wird nicht nur selbst unglaubwürdig, sondert verunehrt auch den, der alles für ihn getan hat. Richtigerweise wird deshalb von „Finsternis“ und „Dunkel“ gesprochen, die eben nicht zum „Vater des Lichtes“ passen. Die Aufforderung kann deshalb nicht sein: „nun strengt euch mal bissel an“, sondern: „lebt eurer Stellung entsprechend!“
Das darf sich aber wiederum nicht nur im Kopf abspielen. Es geht nicht nur um die richtige Erkenntnis, sondern um das Umsetzen im praktische Tun. Ich sag mal etwas Ketzerisches: Könnte es sein, dass Einer, dessen Erkenntnis noch nicht so hoch ausgeprägt ist, aber das, was er erkannt hat, im Glauben aus- lebt, für Gott brauchbarer ist?
Mir liegt es fern, der sogenannten „Befreiungstheologie“ das Wort zu reden, die alle Ziele und heilsgeschichtlichen Pläne Gottes nur ins „heute“ und „hier“ verlegt, aber unser Christsein darf und soll schon auch praktisch sein und muss die aktuellen Probleme nicht ausblenden.
Ich weiß, dass es in der Praxis nicht immer leicht zu entscheiden ist, welches Verhalten jetzt angebracht ist, z. B. wenn, wie mir kürzlich geschehen, mich ein junger Mann in Leipzig um etwas Geld bittet, weil er schon ein paar Tage nichts Richtiges gegessen habe. Sofort sind Gedanken an erwerbsmäßiges Betteln oder missbräuchliche Verwendung da, aber wir sollten uns vielleicht öfter mal für die Art Gottes entscheiden, der „seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute und es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte“ (Matth. 5, 45).
Ihr merkt, dass ich kein Patentrezept habe, sondern selber immer wieder am Fragen bin, aber wir dürfen ganz sicher gerade in diesen Dingen um die nötige Sensibilität und Weisheit bitten. Ich denke, die Gemeinde kann an dieser Stelle ein gutes Übungsfeld für den Alltag sein.
Dass uns allen neu ein „Licht aufgeht“, ist mein Wunsch für die kommende Zeit.
Für heute herzliche Grüße
Euer Bruder Karl- Heinz Pohle