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Wer bemerkt seine eigenen Fehler? Sprich mich frei von Schuld, die mir nicht bewusst ist!
Psalm 19 Vers 30
Lieber gläubige Leser,
ich habe diesmal den Wortlaut des Monatsspruches so übernommen, wie er im Losungsbuch steht, nach der sogenannten „Einheitsübersetzung". Sonst wähle ich meist die uns vertrautere Version der „Elberfelder Bibel“. Und da ich noch die alte, unrevidierte Bibel habe, die schon sehr verschlissen, aber mit vielen eigenen Anmerkungen versehen ist, muss ich außerdem noch die neuere Ausgabe zu Hilfe nehmen, so dass ich jedes Mal mindestens 3 verschiedene Wortlaute vor mir habe. Aber das kann auch eine große Hilfe sein, den Sinn des jeweiligen Bibelwortes besser zu verstehen. Weil ich das bei diesem Wort besonders empfunden habe, will ich Euch einfach einige Übersetzungsmöglichkeiten gegenüberstellen und sie kurz kommentieren. Fangen wir mit dem ersten Teil an, dem Fragesatz:
Bei der obigen Übersetzung wird der Blick auf eigene Fehler gelenkt und in Frage gestellt, ob wir sie immer wahrnehmen oder wahrnehmen wollen. Und tatsächlich ist es so, dass wir viel schneller und schärfer die Fehler des Anderen registrieren, als die eigenen, wie der Herr Jesus im Beispiel vom Splitter und Balken drastisch darstellt. (Matth. 7, 3). Sicher ist das auch eine Frage des geistlichen Wachstums. Wenn man bisher in einem ganz anderen Milieu gelebt hat, dann muss man erst ein Empfinden dafür bekommen, dass z. B. Lüge, Unredlichkeit, Faulheit, Unsauberkeit u. ä. nicht zur Heiligkeit Gottes passen. Der Apostel Paulus hatte da mit einigen von den ersten Gemeinden so seine liebe Müh`. Aber diese Problematik betrifft durchaus nicht nur Neubekehrte, sondern diesen „Sehfehler“ haben wir alle mehr oder weniger.
Und weil das so ist, dass wir bei uns selbst nicht alles wahrnehmen oder richtig einschätzen, sollten wir uns gegenseitig gestatten, in liebevoller Weise im seelsorgerlichen Gespräch die Dinge beim Namen nennen zu dürfen, die das Verhältnis zu Gott, zur Gemeinde oder zu einem Menschen gefährden oder belasten könnten.
Die revidierte „Elberfelder Bibel“ spricht an dieser Stelle von Verirrungen. Verirrungen kommen doch dadurch zustande, dass man sich bei der vermeintlichen Kenntnis über den Weg verschätzt und angebotene Hilfen außer Acht lässt.
Ist uns so etwas noch nie passiert, gerade auch in geistlicher Hinsicht?
Die Lutherübersetzung betont hier, dass das leider keine einmaligen Ausrutscher sind („Wer kann merken, wie oft er fehlt?“) und in ähnlicher Weise sagt die „Bibel im heutigen Deutsch“: „Doch wer weiß, wie oft er Schuld auf sich lädt?“
Die alte Elberfelder Übersetzung fragt schließlich nach unserer Bereitschaft, das einzusehen und dann auch zu bekennen („Verirrungen, wer sieht sie ein?“).
Eine ähnliche Vielfalt begegnet uns bei dem zweiten Teil unseres heutigen Losungswortes:
„Strafe mich nicht, wenn ich es unwissend tat!“ heißt es in der „Bibel im heutigen Deutsch“.
Wichtig ist die Erkenntnis, dass unsere Fehler, Verirrungen, Schuld keine Bagatellen oder Kavaliersdelikte sind und durchaus Strafe verdient haben, auch wenn es unwissend geschah. Schon der Volksmund sagt: „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“.“ Aber offensichtlich kennt der Psalmbeter eine Adresse, wo doch die Chance besteht, verschont zu bleiben.
Wir kennen sie zum Glück auch, oder besser gesagt Ihn, der sein Leben dafür gegeben hat, dass wir von der Todesstrafe und der ewigen Trennung von Gott freigesprochen werden können. Deshalb heißt es in der „Einheitsüber-setzung“ fast wie im Juristendeutsch: „Sprich mich frei von Schuld, die mir nicht bewusst ist!“ Die gleiche Blickrichtung haben die anderen genannten Übersetzungen, wenn sie von verborgenen Sünden sprechen, nur dass bei der alten Elberfelder Übersetzung noch folgender Aspekt hinzukommt: „Von verborgenen Sünden reinige mich!“
Während man bei der Sache mit dem Freispruch sehr schnell dahin kommen kann, dass das ja ein für allemal geschehen ist, geht es hier um Reinigung, also einen wiederholten Prozess. Ziel Gottes ist ja nicht, dass wir gerade so mit heiler Haut davon kommen, sondern dass wir durch und durch heil werden und ein inniges und ungestörtes Verhältnis zu dem heiligen Gott bekommen, der zugleich unser Vater sein will. Deshalb ist das Thema „Heiligung“ ein sehr zentrales Thema in der Bibel. Ich will hier stellvertretend nur zwei Bibelstellen nennen, die das ganz deutlich zum Ausdruck bringen:
„Denn dies ist der Wille Gottes: eure Heiligung...“ (1. Thess. 4, 3) und „Jaget dem Frieden nach mit allen und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn schauen wird“ (Hebr. 12, 14).
Besonders letzteres zeigt, dass das eigentlich kein „Ermessensentscheid“ ist, mit dem wir beliebig umgehen könnten. Aber was hier auf den ersten Blick als etwas Bedrohliches erscheint, ist vielmehr frohmachend und befreiend. Wir brauchen nur mal im 32. Psalm zu lesen, wie sich dadurch das Leben Davids verändert hat, als er seine Schuld bekannte.
Der gleiche David sagt am Ende vom heutigen 19. Psalm: „Lass die Reden meines Mundes und das Sinnen meines Herzens wohlgefällig vor dir sein, Herr, mein Fels und mein Erlöser!“
Vielleicht kann das auch unsere Bitte sein, wenn wir einerseits den mehr als berechtigten Anspruch Gottes und andererseits unsere Fehlerhaftigkeit sehen.
Für heute herzliche Grüße
Euer Bruder Karl- Heinz Pohle