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Lieber gläubiger Leser ,
auch ohne Angabe der Bibelstelle wüssten sicher die meisten von Ihnen, wo dieses Wort steht und in welchem Zusammenhang es gesagt wurde: Es stammt aus einem der sieben Sendschreiben, die Johannes im Auftrag des erhöhten HERRN an Gemeinden in Kleinasien (heute ein Teil der Türkei) senden sollte, in diesem Fall an die Gemeinde in Philadelphia („Bruderliebe“). Nun kann ich mich in diesem Zusammenhang nicht mit der Auslegungs-geschichte zum Buch der Offenbarung auseinandersetzen, mit den Schwierigkeiten man- cher Ausleger und mit den sehr unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten. Ich weiß nur, dass viele unserer Glaubensväter wie manch andere Christen, gerade auch bei den Send- schreiben, eine starke weltgeschichtliche Sicht hatten und jedem der Sendschreiben eine konkrete Epoche zuordneten, und zwar entsprechend der Reihenfolge. Und so kamen manche zu dem Schluss, dass wir in der Zeit von „Philadelphia“ leben und haben dement-sprechende Anwendungen gemacht. Z. B. wurde abgeleitet, dass gegenwärtig die Zeit „der kleinen Kraft“ und demnach nicht mit großen Erweckungen zu rechnen sei.
Ob eine solche Sicht richtig oder hilfreich ist, wage ich nicht zu beurteilen. Man darf dabei nur nicht vergessen, dass es zunächst Briefe in konkrete Gemeindesituationen waren und sollte auch die Warnungen der weniger schmeichelhaften Sendschreiben nicht überhören.
Heute wollen wir uns aber fragen, was obiges Wort uns zu sagen haben könnte. Zuvor jedoch die Frage, was es der Gemeinde damals zu sagen hatte? Zunächst einmal, dass der HERR sehr wohl die Situation jeder einzelnen Gemeinde (aber auch des einzelnen Gläubigen) kennt und bei ihrer Beurteilung mit in die Waagschale wirft. Wie waren denn dort die Verhältnisse? Philadelphia war eine relativ junge Stadt in dem Dreiländereck Mysien, Lydien und Phrygien, eine typische Grenzstadt und ein Tor nach dem Osten. Man nimmt an, dass sie unter anderem deswegen gegründet wurde, um die griechische Lebensweise in das „barbarische“ Phrygien zu tragen. Der Erfolg dabei war aber eher bescheiden.
Und nun ging eine noch nicht sehr etablierte Gemeinde, der auch noch bescheinigt wird, dass ihr Einfluss begrenzt ist („kleine Kraft“), daran, die frohe Botschaft von Jesus Christus in ihre Umgebung zu tragen. War dies Unternehmen nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt? Wenn wir obige Aussage des HERRN auf die Mission oder Evangeli-sation beziehen wollen, dann müssen wir mit einem klaren „Nein“ antworten. Es ist ja geradezu ein Grundsatz Gottes, dass Er am liebsten das Geringe, das Unbedeutende und Arme für seine Pläne aussucht und es dann in unvergleichlicher Weise beschenkt. Er ist es, der die Offenheit gibt, zu den Andersdenkenden hinaus zu gehen und den Glauben in Wort und Tat zu bezeugen. Er will aber auch bei den Außenstehenden Offenheit bewir- ken, dass sie sein Wort annehmen, umkehren und zur Gemeinde dazu finden können.
Wenn wir also die Situation von Philadelphia schon auf uns anwenden wollen, dann sollten wir uns nicht zuerst das Wort von der kleinen Kraft, sondern von der offenen Tür aneignen.
Mit der offenen Tür muss aber gar nicht nur die Missionssituation gemeint sein. Aus dem Zusammenhang wird deutlich, dass die Gemeinde nicht wie in anderen Städten so sehr unter dem Kaiserkult oder dem Götzendienst, sondern am stärksten unter den Angriffen der großen Judenschaft zu leiden hatte, die ihre Gottesbeziehung in Frage stellte. Jene waren es doch, die die Verheißungen und Bündnisse und das Recht hatten, in die Gegen- wart Gottes zu kommen. Was wollten da diese Abweichler und Habenichtse? Aber gerade denen verspricht hier der HERR eine geöffnete Tür, den Eintritt ins Heiligtum, unmittelbare und bleibende Gemeinschaft mit dem Vater im Himmel, Zugang zu all den Verheißungen und Segnungen, die die Juden für sich reklamierten.
Vielleicht klingt das sehr theoretisch, aber wenn man sich diese Vorrechte z. B. im Gebet zueigen macht, stärkt das immens den Glauben bei gegenwärtigen Anfechtungen und erst recht bei sich zuspitzenden Entwicklungen in der Zukunft. Das dürfen wir auch als heutige Gemeinde und persönlich für uns in Anspruch nehmen, und sollten es uns weder durch die scheinbar übermächtige öffentliche Meinung, noch durch die Aufweichung von Glaubensstandpunkten und Verhaltensnormen oder eigene Zweifel nehmen lassen. Der HERR selbst verspricht, dass schon bald die Zeit kommen wird, wo die Verhältnisse zu- rechtgerückt werden, wo dann die geehrt werden, die „drunter geblieben“ sind. Das zei- gen die Bilder vom Siegeskranz oder von der Säule im Tempel mit der eigenhändigen In- schrift von Gott (V. 11+12). Manchmal aber sorgt der HERR auch dafür, dass schon heute und hier Dinge gerade gerückt werden und sich zum Guten wenden (V. 9). Das alles darf für uns eine starke Ermutigung sein!
Herzliche Grüße
Ihr Karl- Heinz Pohle