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Oktober

 

Wie kann ein Mensch gerecht sein vor Gott?
                                                                                     Hiob 4, 17


Lieber gläubiger Leser,

wenn ich mich für diesen Wortlaut des Monatsspruches entschieden habe, dann deshalb, weil er mir am wertneutralsten und wie eine echte Frage erscheint. Aber ist das denn für den modernen Menschen überhaupt noch eine Frage? Wenn man keine höhere Instanz über sich anerkennt, braucht man eine solche Frage doch nicht erst zu stellen. Über dieses Problem werden wir gleich noch etwas nachdenken, aber zunächst fällt auf, dass diese Frage gar nicht von „Ungläubigen“ gestellt wird oder an diese gerichtet ist. Sie wird hier vielmehr in der Auseinandersetzung um Glaubensüberzeugungen als Argument benutzt.

Der „Freund“ Hiobs, Eliphas, warnt Hiob, sich Gott gegenüber nicht zu viel herauszunehmen. Das ist sicher richtig, aber aus dem weiteren Verlauf der Debatte, auch vonseiten der anderen Freunde, wird deutlich, dass es ihnen im Grunde weniger um eine echte „Seelsorge“ für Hiob oder die Verteidigung Gottes, als um die Verteidigung ihres eigenen Standpunktes geht. Da bleibt es nicht aus, dass neben Richtigem auch manches Falsche gesagt wird. So war ich z. B. über die Aussage erschrocken, dass Gott nicht einmal seinen Knechten vertrauen und Engeln sogar Irrtum zur Last legen würde (V. 18). Was ist das für ein Bild von Gott, als ob er Freude daran hätte, uns zu belauern, und ich frage mich schon, welches Bild wir von Gott vermitteln, sowohl den Gläubigen wie den Ungläubigen gegenüber.
Um nicht missverstanden zu werden, will ich deutlich sagen, dass ich kein Vertreter eines „weichgespülten“ Evangeliums bin, in dem Begriffe wie „Sünde“, „Gericht“, „Verdammnis“ nicht mehr vorkommen dürften. Nein, wir sind den Menschen die ganze biblische Botschaft schuldig.

Die Frage ist nur, wo wir sie dabei abholen. Sprechen wir ihnen von vornherein ein ehrliches Suchen nach der Wahrheit, jegliches Gespür für „gut“ und „böse“ und eine wenn auch sehr verschwommene Sehnsucht nach Gott ab? Dann werden wir geneigt sein, recht schnell die schwersten Geschütze aufzufahren, denn „auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil“.

Ich musste an eine der vorigen Bibelstunden in unserer Gemeinde denken, wo es um Abraham ging, der schon zum zweiten Mal seine Frau als seine Schwester ausgibt, mit all den unschönen Verwicklungen, die sich daraus ergeben. Eine der Begründungen seitens Abraham dafür war: „Ich sagte mir: Es ist gewiss keine Gottesfurcht an diesem Ort.“ (1. Mose 20, 11) Das ist die Haltung, die ich meine, die den Anderen sofort abqualifiziert und sich gar nicht erst die Mühe macht, sich aufrichtig mit den Problemen und Standpunkten seines Gegenübers auseinander zu setzen und nur auf das eigene Heil bedacht ist. Ganz schlimm ist es, wenn sich wie in diesem Falle auch noch herausstellt, dass sich der Andere korrekter verhalten hat als man selbst. Wie will man dann Zeuge von der rettenden Gnade Gottes sein?

Was ist aber mit solchen glasklaren Aussagen wie „Das Sinnen des menschlichen Herzens ist böse von seiner Jugend an.“ (1.Mose 8, 21) oder „Da ist kein Gerechter, auch nicht einer; da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der Gott sucht. Alle sind abgewichen, sie sind allesamt untauglich geworden; da ist keiner, der Gutes tut, da ist auch nicht einer.“ (Römer 3,10) Davon kann man doch keine Abstriche machen oder es umzudeuten versuchen. Nein, aber ist es nicht erstaunlich, dass unmittelbar an diese vernichtenden Urteile sowohl damals bei Noah wie auch im Römerbrief das unerwartete und unbegreifbare Gnadenversprechen Gottes folgt?  Dieses Handeln Gottes erscheint uns Menschen unlogisch, deshalb versucht jeder auf seine Weise eine Antwort darauf zu geben, wie man gerecht (richtig) lebt. Die Lebenskonzepte reichen dabei von „moralisch hochstehend“ bis „entartet“, aber eine befriedigende Antwort auf diese existenzielle Frage liefern sie alle nicht.

Es gibt nur einen Weg, vor Gott gerecht zu sein und der liegt außerhalb jeder menschlichen Leistung. Denn das dem Menschen Unmögliche tat Gott, indem Er Seinen Sohn sandte und Ihn für unsere Schuld und unsere Defizite stellvertretend am Kreuz hinrichten ließ (Römer 3,21). Wer das glaubt und für sich in Anspruch nimmt, ist gerecht gemacht und braucht sich vor dem Urteil Gottes nicht mehr zu fürchten. Das ist die froh machende Nachricht, die das ganze Neue Testament bezeugt und die sie von allen anderen Religionen unterscheidet. Das ist das, was wir uns selber immer wieder bewusst machen dürfen, aber auch den Leuten um uns herum nicht verschweigen wollen.

In diesem Glauben verbunden grüßt Sie

Ihr Karl- Heinz Pohle