christen.ws

Sie sind hier: Archiv / Herrnhuter Monats-Losungen / 2013 / Mai

Mai

 

Öffne deinen Mund für den Stummen, für den Rechtsanspruch aller Schwachen

                                                                                                 Sprüche Kap.31 Vers 8

Lieber gläubiger Leser,

zunächst habe ich mich gefreut, dass wieder einmal ein Wort aus einem selten zitierten Buch der Bibel zum Monatsspruch gewählt wurde. Diese Begeisterung war aber schon nicht mehr ganz so groß, als ich mir das 31. Kapitel der Sprüche einmal näher angesehen habe:
Man erwartet doch tiefgründige Gedanken oder geistreiche Äußerungen, möglichst von einer anerkannten, hochgestellten Persönlichkeit, wie z. B. Salomo. Und dann liest man „nur“ die Ratschläge einer Mutter an ihren Sohn, scheinbar wahllos zusammengestellt, vom Umgang mit Alkohol über soziale Belange bis hin zu Kriterien für die Wahl einer guten Ehefrau  (über letzteres an geeigneter Stelle einmal nachzudenken, wäre sicher auch nicht verkehrt).

Nun gut, sie war immerhin die Mutter eines Königs, aber eines Königs von dem nicht sehr bedeutenden ismaelitischen Stamm Massa in Nordarabien, der nur in 1. Mose 25, 14 erwähnt wird. Das war die zweite Enttäuschung: Wenn Mutter und Sohn doch wenigstens aus dem Volk Israel wären! Dürfen wir denn ihre Aussagen überhaupt für bare Münze nehmen? Generell ist dazu zu sagen: Wenn wir die ganze Bibel als von Gott inspiriert anerkennen, dann haben wir kein Recht, einige Aussagen als nicht zutreffend abzutun. Und was wissen wir letztlich von dem Glaubensstand der genannten Personen? Lemuel, so der Name dieses Königs, heißt z. B. „Gott gehörig, Sein besonderes Eigentum“. Außerdem denke ich, dass auch Menschen, die nicht an Gott glauben, durchaus richtige und hilfreiche Dinge sagen können, weil immer noch ein Stück von der in sie hinein gelegten Gottesebenbildlichkeit in ihnen steckt. Sonst müssten wir alle klugen Gedanken, Sprichwörter, Volksweisheiten, Aphorismen usw. von vornherein ablehnen. Klar ist aber, dass sie natürlich nicht im Widerspruch zu Gottes Wort stehen dürfen.

Worum geht es nun aber in unserem Monatsspruch? Um das etwas zu verdeutlichen, will ich den Inhalt nochmals mit eigenen Worten wiedergeben: Tritt für Leute ein, deren Stimme nichts zählt (die keine Lobby haben, wie man heute sagt) und die zu schwach sind, selber für ihr Recht einzutreten. Nun gut, diese Aufforderung ergeht an einen Regierenden und vielleicht denken wir jetzt im Stillen oder auch laut: Endlich sagt es denen mal jemand, die in Ihren Positionen so schnell die Bodenhaftung verlieren und gar nicht mehr wissen, wie es dem „Kleinen Mann“ ergeht, womit er zu kämpfen hat und wie es ihm dabei zumute ist.

Es ist zwar nicht zu leugnen, dass dieses Wort etwas mit Politik zu tun hat, aber da es nicht in einem Parteiprogramm, sondern in der Bibel steht, muss noch mehr dahinter stecken. Wir Christen tun uns mit Politik sowieso etwas schwer, weil, wie die Bibel sagt, unser Bürgertum in den Himmeln ist und wir deshalb andere Prioritäten haben. Das stimmt schon. Aber wenn wir unseren Herrn Jesus ansehen, der nicht nur Bürgerrecht, sondern Herrschaftsanspruch im Himmel hatte und doch in Seinem Erdenleben auf viele aktuelle Belange der Menschen seiner Zeit eingegangen ist, dann ergibt sich doch ein anderes Bild. Er hat zwar nicht versucht, die sozialen Verhältnisse gewaltsam zu verändern, aber Er hatte einen Blick und ein Herz für die Bedürfnisse des Einzelnen, besonders derer, die benachteiligt waren, die Armen, die Witwen und Waisen, die Kinder, die Kranken, die Ausgestoßenen und sogar die Schuldiggewordenen.

Er hat nicht nur in Seinen großartigen Reden, wie z. B. der Bergpredigt, über diese Belange gesprochen, sondern konkret gehandelt, wie bei der „Speisung der 5000“ (Markus-Evangelium Kap. 6, 30-44), dem „Jüngling von Nain“ (Lukas-Evangelium Kap. 7, 11-17), dem „Kranken am Teich Bethesda“ (Johannes-Evangelium Kap. 5, 1-9), um nur einige zu nennen. Wenn Sie selber einmal darüber nachdenken, werden Ihnen bestimmt viele andere Beispiele einfallen. Das alles ist aber nicht nur deswegen niedergeschrieben, dass wir Jesus Christus für Sein Tun bewundern, sondern dass wir als Seine Nachfolger zunehmend Seine Art widerspiegeln. Dafür gibt es die unterschiedlichsten Betätigungsfelder. Das beginnt sicher in der Familie. Auch in der Gemeinde brauchen die Schwachen Zuspruch und konkrete Hilfe, wie immer diese Schwachheit aussehen mag (auch bei der „Seelsorge“ geht es nicht nur um die Seele). Das größte Klientel sind aber wohl die Menschen um uns her, zumindest die, die uns im Sinne der Bibel „Nächster“ werden, weil wir letztlich nicht alle Not der Welt beheben können.

Und in manchen Fällen kann es auch mal die „große Politik“ sein, wenn wir die Möglichkeit dazu haben, unsere Stimme für den Stummen zu erheben und für das Recht der Schwachen einzutreten. Vielleicht sollten wir in diesem Monat einmal besonders darauf achten, wo wir gefragt sind. Dazu wünsche ich Ihnen Freude und gutes Gelingen.

Ihr  Karl- Heinz Pohle