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November

 

Das Reich Gottes ist mitten unter euch.

                                                                       Lukas- Evangelium Kap. 17, 21


Lieber gläubiger Leser,

ich weiß, dass vor allem in unseren Brüdergemeinden ein Unterschied zwischen Reich Gottes und Gemeinde Jesu gemacht wird, und ich will das auch nicht anfechten, weil es gute Gründe dafür gibt. Schwierig und problematisch wird es in der Praxis aber dann, wenn wir anfangen, Bibelstellen deshalb von vornherein als für uns nicht zutreffend zu deklarieren. Wir sollten dabei bedenken, dass der, der als Repräsentant und zukünftiger Herrscher dieses Reiches in die Welt gekommen ist, zugleich HERR und Haupt Seiner Gemeinde ist, und dass manche von den hier Angesprochenen oder Zuhörern später Säulen der Gemeinde waren. Mir selber fällt es jedenfalls sehr schwer, da eine klare Trennlinie zu finden.

Und wenn wir uns die Aussagen über das „Reich Gottes“ (oder auch „Reich der Himmel“, wie es an anderen Stellen genannt wird) und vor allem die vielen Gleichnisse dazu ansehen, dann merken wir sowieso, was für ein vielschichtiger Ausdruck das ist, der sich nicht nur auf eine bestimmte heilsgeschichtliche Epoche mit konkreten Gegebenheiten beschränken lässt. Das war ja gerade auch das Problem der Menschen in unserem Textabschnitt, die mit der Frage an Jesus herantraten, wann denn das Reich Gottes komme, und dabei ein bestimmte Idealvorstellung hatten (z. B. Verhältnisse wie zur Blütezeit des Königtums Davids). Musste sie die knappe Antwort und vor allem der Bezug auf die Gegenwart da nicht verwirrt haben?

Und vielleicht macht es auch uns zu schaffen, dass einerseits von einem konkreten, aber noch zukünftigen Ereignis die Rede ist und andererseits Anfänge davon und Gesetzmäßigkeiten oder „Wirkmechanismen“ durchaus schon in der Gegenwart vorhanden sind, wenn auch meist im Verborgenen. Wieso konnte der Herr Jesus behaupten, dass das Reich Gottes schon mitten unter ihnen sei? Ich kann nur schlussfolgern: Weil das eindeutig mit Seiner Person und Seiner Sendung zusammenhängt und  mit der Ihm vom Vater verliehenen Vollmacht.  Daraus wird für mich deutlich, dass es bei „Reich“ nicht zuerst um äußere Merkmale, sondern um die Machtfrage geht: Wer hat das Sagen? Das war ja der große Konflikt mit den Leuten seiner Zeit, dass sie Ihm diese Vollmacht streitig machten, aus welchen Motiven auch immer.

Diese Problematik spiegelt sich auch in einigen Reich-Gottes-Gleichnissen wider. Denken wir nur mal an das Gleichnis von den bösen Winzern (Matthäus-Ev. 21, 33-46; Lukas-Ev. 20,9-19). Anstatt dem Besitzer des Weinbergs das ihm Zustehende abzuliefern, spielen die Winzer sich selber als Herren auf und verweigern ihm den Gehorsam. Nicht einmal, als der Sohn persönlich kommt, haben sie Respekt vor ihm und bringen ihn sogar um. Interessant ist die in den Versen 41/43 angedrohte Konsequenz aus solchem Verhalten. Auf ähnlicher Linie liegt das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl (Matthäus-Ev. 22,1-10; Lukas-Ev. 14,15-24). Dass es hier nicht nur um eine grobe Unschicklichkeit geht, sondern um eine Verweigerung, dem Einladenden die Ehre zu geben, wird vielleicht erst beim zweiten Blick deutlich. Ob die Ablehnungsgründe wirklich für sie wichtiger oder nur vorgeschoben waren, ist dann zweitrangig. Auch hier ist die Konsequenz, dass nicht die ursprünglich „Erwählten“, sondern Außenseiter in den Genuss des Reichtums, der Freude, der Herrlichkeit und der Gemeinschaft des Hochzeitsmahles kommen werden.

Nun daraus zu schließen, dass die Gemeinde an die Stelle des Volkes Israel getreten sei, wäre sicher falsch, zumal die genannten Gleichnisse überwiegend zukünftigen Charakter haben. Aber auch die Ansicht, dass Reich Gottes und Gemeinde gar nichts miteinander zu tun haben, lässt sich auf diesem Hintergrund nicht halten. Auch in der Gemeinde Jesu geht es um die Herrschaftsfrage: Sitzt mein „Ich“ auf dem Thron und bestimme ich die Prioritäten in meinem Leben, oder habe ich die Verfügungsgewalt an den HERRN abgegeben, der für mich gestorben ist und mich für Gott erkauft hat.

Auch in der Gemeinde Jesu gibt es kleine Anfänge, oft im Verborgenen, die noch auf ihre Vollendung warten. Und doch ist das ewige Leben schon Realität, weil der durch Seinen Heiligen Geist schon in und unter uns ist (Mattäus-Ev. 18,20), der die Machtfrage ein für allemal geklärt hat. Man kann sicher noch mehr Parallelen finden.

Ich hoffe, Sie merken, dass ich nichts durcheinander mengen will, aber ich wünschte, dass wir eine gewisse Scheu bei bestimmten Themen (z. B. Vater unser, Bergpredigt u. ä.) ablegen und noch mehr Gewinn bringende Anwendungen für unser Glaubensleben machen könnten. Vor allem aber wollen wir bei allen Wirren der gegenwärtigen Zeit und dem bescheidenen Bild, das die Gemeinde Jesu oft abgibt, den Zuspruch unseres HERRN neu hören:
Die (Königs-)Herrschaft Gottes ist mitten unter Euch!


Herzliche Grüße,
Ihr Karl- Heinz Pohle