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Lieber gläubiger Leser,
ehe ich auf den neuen Monatsspruch eingehe, noch ein kleiner Nachtrag zum Text vom August: Kurz nachdem ich meine „Andacht“ fertiggestellt hatte, sind wir mit einer Blau-Kreuz-Gruppe zu einer Rüste nach Südtirol gefahren. Welches Missgeschick mich dort getroffen hat, nämlich ein Beinbruch, sei kurz erwähnt. Ich will jetzt keine Einzelheiten berichten, sondern nur zum Ausdruck bringen, wie froh ich bin, dass ich trotz dieser Erfahrungen keine meiner Aussagen, die ich damals gemacht habe, zurücknehmen oder korrigieren muss. Ohne das Negative ausblenden zu wollen, sehe ich in dem allen eine Reihe guter Führungen, für die ich nur danken kann. Entscheidend ist sicher die Blickrichtung, die wir auf solch einschneidende Ereignisse in unserem Leben haben und wie wir damit umgehen.
Genau das wird mir auch bei den spannenden Berichten des Buches Nehemia sehr deutlich: Wenn man nur auf die Befindlichkeit des Gottesvolkes, das noch zum großen Teil im Exil lebt, und auf die Situation in und um das zerstörte Jerusalem und den Zustand des einst so prächtigen Tempels blickt, kann es einem schon zum Heulen zumute sein. Das, was einmal Lebens-mittelpunkt und Inbegriff der Nähe und Zuwendung Gottes war, ist so nicht mehr da. Nehemia, einer der wenigen, die in einer privilegierten Stellung während der Gefangenschaft waren, hätte sich vielleicht zurücklehnen können. Aber er weint wirklich darüber, weil es eben nicht nur um ihn selbst, sondern um das ganze Volk Gottes geht. (Nehemia 2, 1-5)
Die Berichte, die dann folgen, sind ein einziges Auf und Ab zwischen Aufbruchstimmung und Enttäuschung, Einsatzbereitschaft und Behinderungsversuche durch die Feinde des Volkes Gottes, zwischen Buße und Neuanfang und der Verstrickung in neue Schuld. Was musste gerade der Nehemia, der sich so uneigennützig einsetzte, für Rückschläge und Anfeindungen erfahren. Lest mal diese lebendigen Schilderungen. Da wird keine Schwarz-Weiß-Malerei betrieben. Die Frage hierbei ist nur, welche Eindrücke und Erfahrungen die Oberhand gewinnen, nicht nur damals, sondern auch in unserem persönlichen Leben. Aber bleiben wir bei unserem Text.
Das Gesagte gilt nämlich auch besonders für das 8. Kapitel, dem unser Monatsspruch entnommen ist: Nach all den Ereignissen der letzten Monate ist unter den Heimkehrern ein Hunger nach dem lebendigen Wort Gottes „ausgebrochen“. Sie selber fordern die geistlichen Führer auf, ihnen das Wort vorzulesen und zu erklären. Es geschieht eine Erweckung, die aber
zunächst zu tiefer Betroffenheit und Traurigkeit über den eigenen Zustand und die Schuld vor Gott führt. Das ist nötig und heilsam (auch heute noch), aber man darf nicht dabei stehen bleiben, sonst tritt man auf der Stelle und ist nicht offen für das, was Gott Neues schenken will. Es ist ja ein Phänomen, dass wir Menschen viel empfänglicher für das Negative bei uns und den anderen sind. Und da hinein kommt der seelsorgerliche Rat: Seid nicht bekümmert!
Schaut nicht auf das, was kümmerlich ist, also auf das Enttäuschende, z. B. wie wenig sich zum Guten verändert hat, oder dass manches nur wie ein Tropfen auf den heißen Stein ist, oder dass früher scheinbar alles besser war. Schaut auch nicht auf die realen Bedrohungen unseres natürlichen und geistlichen Lebens, sonst werdet Ihr gar nicht mehr froh. Sucht bewusst das Positive, registriert, wo es, wenn auch nur in kleinen Schritten, vorwärts geht. Und schaut vor allem auf den, der wirkliche und bleibende Freude schenken kann, weil ER alle Umstände in seiner Verfügungsgewalt hat und auch mit aller persönlichen Schuld und Not zu recht kommt.
Der zweite Teil des Monatsspruches klingt wie ein Zuspruch oder wie ein „Rezept“: „denn die Freude am Herrn ist eure Stärke“ (manche übersetzen das letzte Wort auch mit Schutz). Sich in und am HERRN zu freuen, macht uns also widerstandsfähig und bewahrt uns auch bei manchem feindlichen Angriff. Während der Brief an die Philipper mehr die Freude im HERRN heraus stellt (Philipper 4,4), also die Freude über all das, was uns Jesus Christus im Blick auf unser Verhältnis zu Gott erworben hat, geht es hier bei Nehemia mehr um die Freude am HERRN, also dass ER uns selber immer größer und herrlicher wird und die Liebe zu Ihm dabei wächst. Deshalb lasst uns vermehrt von uns selber und den Umständen weg „hinschauen auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens“ (Hebräer 12, 2).
Mit dieser Aufforderung, in die ich mich selber mit einbeziehe, grüße ich Sie heute ganz herzlich und wünsche Ihnen einen gesegneten Monat September,
Ihr Karl- Heinz Pohle