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Mai

Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier,
hier ist nicht Mann noch Frau, denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.

                                                                Brief an die Galater Kap. 3, 28

Lieber gläubiger Leser,

wie befreiend kann solch ein Bibelwort sein! Aber es birgt auch einigen Sprengstoff in sich. Nicht nur für die Christen in Galatien damals, die immer noch meinten, dass der Weg zum „richtigen“ Christ sein nur über die Einhaltung der jüdischen Traditionen gehe. Denen musste Paulus z. T. mit sehr deutlichen Worten begegnen (Galater 1, 6-9; 3, 1-4; 5, 7-12). Aber auch für uns und unsere atheistischen Zeitgenossen hält es einige Stolpersteine bereit. Das wurde mir schon beim Vergleich verschiedener Übersetzungen dieses Bibelwortes bewusst.

Wenn es da etwa heißt: „Jetzt ist es nicht mehr wichtig, ob du…“ oder „Hier gibt es keinen Unterschied mehr zwischen…“ oder „Es hat darum nichts mehr zu sagen, ob du…“, dann kann das ohne nähere Erläuterung missverstanden werden. Ich sage das nicht, weil ich Freude an Wortklauberei habe, sondern weil ich sehe, dass die oben genannten Spannungsfelder (und sicher nicht nur diese) noch immer höchst aktuell sind und die unterschiedlichsten Lösungswege dafür angeboten und beschritten werden.

Und was mache ich andererseits mit solchen Belehrungen, wie wichtig es für die Ausbreitung des Evangeliums sei, die ethnischen, kulturellen und sozialen Unterschiede zu beachten, wenn das doch keine Rolle mehr spielen soll? Ehe ich noch etwas näher darauf eingehe, schon mal mein Hauptargument vorab: Für das richtige Verstehen unseres Monatsspruches sind Anfang und Ende („hier... in Christus Jesus“) unverzichtbar. Das bedeutet: Nur aus der Sicht Gottes und auf der Grundlage des Erlösungswerkes Jesu sind die Unterschiede zwischen den Menschen aufgehoben, ansonsten bestehen sie weiter und der Mensch (auch der Christ) muss sich damit auseinandersetzen.

Vielleicht sind Ihnen ja in dem Zusammenhang auch schon solche Fragen wie mir gekommen: Warum hat Gott nichts gegen die Sklavenhalterei unternommen, die in veränderter Form ja bis in unsere Gegenwart angehalten und so viel Unrecht und Schaden angerichtet hat? Warum gibt es in der Gesetzgebung für das Volk Israel so gravierende Unterschiede in der Behandlung von Mann und Frau, und warum sind sie in der Gemeinde nicht völlig beseitigt? Warum lässt es Gott zu, dass die nationalen und sonstigen Unterschiede eher noch zementiert als überwunden werden? Die Gemeinde Jesu ist ja sehr oft auch existenziell davon betroffen.

Und dann erleben wir „weltliche“ Lösungsansätze mit, wo wir uns als Christen positionieren müssen: Liegt der Ausweg für die Konflikte zwischen den Völkern wirklich in der Bildung von militärischen und wirtschaftlichen Bündnissen, möglichst im Gleichgewicht der Kräfte? Wie heikel so etwas sein kann, erleben wir ja gegenwärtig hautnah mit (Ukraine, Syrien). Dürfen ungerechte und Menschen unwürdige Verhältnisse auch gewaltsam verändert werden?

Können die sich auf diese Bibelstelle berufen, die wegen der Konflikte zwischen Männern und Frauen die Bibel feministisch umdeuten oder in Wirtschaft und Politik Frauenquoten einführen? Oder die mit allen Mitteln die Gender-Theorie voran treiben wollen , wonach in den Beziehungen zwischen Mann und Frau nicht das biologische Geschlecht, sondern das erworbene soziale Geschlecht das Entscheidende sei? Die eindeutigen Aussagen der Bibel zu Ehe und Familie und zur Sexualität seien damit nicht nur überholt, sondern diskriminierend. Ist es nicht viel mehr der Versuch, sich aus der Verantwortung vor Gott herauszuwinden und Sünde zu legalisieren? Was gilt hier mehr, die Beurteilung Gottes zu diesen Dingen oder der vermeintliche gesellschaftliche Konsens? (Leider sehen das nicht alle Christen einheitlich).

Wir könnten gemeinsam sicher noch viel mehr aktuelle Fragen und Problemfelder nennen, für die es keine einfachen Antworten gibt, auch nicht immer von der Bibel her. Denn sie ist kein Regelwerk, das für jede Situation Ausführungsbestimmungen hätte, sondern Zeugnis der (Liebes-)Geschichte Gottes mit den Menschen. Und so gibt uns Gott sehr wohl gute Vorgaben für unser eigenes Leben, für unser Miteinander in Familie, Gesellschaft und Gemeinde und nicht zuletzt für unser Verhältnis zu Gott. Gott regelt aber nicht alles für uns, und Er greift auch nur sehr selten direkt ins Weltgeschehen oder auch in unsere persönlichen Verhältnisse ein. Das hängt mit der Entscheidungsfreiheit und Menschenwürde zusammen, die Er uns verliehen hat. Was Er aber möchte ist, dass wir mit Ihm über all diese Fragen im Gespräch bleiben, in der Abhängigkeit und im Vertrauen zu Ihm nach Antworten suchen und dann im Gehorsam zu Gottes Wort konkrete Schritte gehen. Das werden wir kaum im Alleingang schaffen, aber zum Glück ist auch dafür die Gemeinde Jesu da.

Mir ist bewusst, dass ich hier wenig Antworten gegeben habe, bestenfalls Denkanstöße, aber vielleicht können die dem einen oder anderen doch zur Hilfe werden.

Liebe Grüße,
Ihr  Karl- Heinz Pohle