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Juni

Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest.

                                                               1. Buch Mose Kap32 Vers 27


Lieber gläubiger Leser,

viele von Ihnen werden sofort wissen, bei welcher Begebenheit dieser Satz fiel und von wem er stammt: Nach jahrelangem Asyl bei seinem Onkel Laban, wohin er sich vor der Rache seines Bruders in Sicherheit gebracht hatte, erhielt Jakob von Gott den unmissverständlichen Hinweis, dass er in die Heimat zurückkehren sollte. Einerseits ein Grund zum Aufatmen, weil damit eine Zeit vieler Enttäuschungen, innerer und äußerer Kämpfe und harter Arbeit zu Ende gehen sollte. Aber da war auch noch das ungeklärte Verhältnis zu seinem Bruder und die noch nicht vergebene Schuld, was plötzlich wieder vor ihm stand und sein Denken und Handeln, mehr als ihm lieb war, bestimmte.

O ja, er hatte schon viel dazu gelernt und sein Verhältnis zu Gott war enger geworden, aber es ist nicht nur typisch für ihn, dass man trotzdem zuerst versucht, die Dinge mit menschlichen Mitteln zu regeln. Nachdenken und eine Strategie haben, mag ja in vielen Fällen ganz nützlich sein, aber in Fragen von Schuld hilft das recht wenig. So will er bei der Begegnung mit Esau nichts dem Zufall überlassen und bereitet sie akribisch vor. Man kann seine Gedanken schon irgendwie nachvollziehen, aber im Grunde geht es ihm immer noch zuerst um sich selbst.

Diesen Eindruck wird man leider auch bei dem Bericht über den Kampf mit Gott (oder dem Engel des HERRN?) nicht ganz los. Es wäre aber sicher ungerecht, nur diese Seite zu betonen, denn ich denke, ihm lag auch wirklich daran, die Nähe Gottes zu suchen und Hilfe zu finden. Dass er dabei in einen Kampf auf Leben und Tod verwickelt wurde, dem er doch eigentlich entgehen wollte, hatte er nicht erwartet. Wie er ihn dann aber doch annahm, ist erstaunlich. Typisch Jakob, möchte man sagen, mit seinem Hang zur Selbstüberschätzung! Spätestens, als er merkte, dass Gott im Spiel war, hätte er da nicht sofort kapitulieren müssen? Andere Leute in der Bibel waren zu Tode erschrocken, wenn Ihnen der HERR selbst oder auch nur ein Engel begegnet war. Bei Jakob ist davon nichts zu merken. Kann man so mit Gott umgehen, frage ich mich schon die ganze Zeit: Sich in eine körperliche oder auch nur verbale Auseinandersetzung mit Gott einzulassen und dann noch dessen Segen erzwingen zu wollen? Sicher ist das nicht die normale Umgangsform Gott gegenüber, aber Gott kritisiert dieses Verhalten hier mit keinem Wort. Und es hat auch immer wieder einzelne Gläubige gegeben, die in unterschiedlichen Situationen eine „Lippe“ riskierten: Abraham bei der Fürbitte um Sodom, Mose mehrfach im Blick auf das Volk Israel, aber auch persönlich, als er nicht verstand, dass er nicht in das verheißene Land kommen sollte. Typisch ist auch Hiob, der am liebsten Gott vor Gericht gezerrt hätte, um seine eigene Unschuld zu beweisen. Gott hält das offensichtlich aus, wenn eine entsprechende Herzenshaltung des Vertrauens in Sein Handeln dahinter steht.

Man mag sich auch wundern, dass Gott scheinbar nicht mit Jakob fertig wird, dass der sich fast als ebenbürtig erweist. Ich bin überzeugt, dass es für Gott ein Leichtes gewesen wäre, Jakob in die Knie zu zwingen oder gar zu zerstören. Aber es ist nicht Gottes Art, auch nicht Sein Plan, Menschen zu „zerbrechen“, damit sie Ihm gefügig werden. Wohl lässt Er manches zu, was man als Strafe empfinden könnte, aber letztlich zum Guten mitwirken soll. Das war auch bei Jakob so. Er hatte sich wohl doch übernommen und musste fortan mit einem bleibenden körperlichen Schaden leben. Aber er hatte auch begriffen, dass man nicht alles mit eigener Kraft oder eigener Schlauheit bewältigen kann, sondern an Gottes Segen alles gelegen ist. Vielleicht war diese Erkenntnis sogar ein Teil des Segens, den er sich so wünschte?! Aber der Segen ging noch viel weiter: Er erhielt nicht nur den Ehrentitel „Gotteskämpfer“ (das heisst Israel), der bis heute noch in Aller Munde ist, sondern durfte in seiner Familiengeschichte miterleben, wie die an die Vorväter gegebene Zusage, sie zu einem auserwählten Volk heranwachsen zu lassen, langsam Konturen annahm.

Vielleicht kann Gott solche Menschen in besonderer Weise gebrauchen, die sich zielstrebig und mit ganzer Kraft für eine Sache einsetzen, ob im persönlichen Leben, im Dienst für das Wohl anderer oder im „Werk des HERRN“, auch wenn sie am ehesten dazu neigen, sich zu übernehmen oder über das Ziel hinaus zu schießen. Gott kommt mit jedem zurecht, der trotz mancher Um- und Irrwege in der Abhängigkeit zu Ihm bleibt. Auch wenn ich selbst nicht solch ein Kämpfertyp bin, will ich mir Jakob in seiner Ausdauer, seiner Zielstrebigkeit und der Wertschätzung des Segens Gottes neu zum Vorbild nehmen.

In diesem Sinne wünsche ich auch Ihnen Gottes Segen,

Ihr Bruder Karl- Heinz Pohle