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Lieber gläubiger Leser,
was für eine wunderbare, Mut machende Glaubensaussage, an der sich sicher schon viele in den unter-schiedlichsten Situationen aufgerichtet haben! Und doch habe ich länger als sonst überlegt, welche Übersetzung ich wähle, weil man diesen Ausspruch des Paulus auch leicht missverstehen kann. Wenn es z. B. heißt: „Nichts ist mir unmöglich…“, dann stimmt das im Umkehrschluss zwar, aber dann klingt das eher nach einer Werbekampagne oder nach der Fantasiegestalt „Superman“, der für alles eine Lösung parat hat und den nichts umwerfen kann. Ist dieses Wort wirklich so zu verstehen?
Nun, es gibt eine ganze Reihe anderer Bibelworte, die das noch zu unterstreichen scheinen, wie z. B. Matth.-Evangelium 17, 20 und Lukas-Evangelium 17, 6: „Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, dann würdet ihr…“, oder Johannes-Evangelium 14, 12 : „Wer an mich glaubt, der wird auch die Werke tun, die ich tue und wird größere als diese tun…“ oder Markus-Evangelium 9, 23: „ Dem Glaubenden ist alles möglich.“
Ich werde mich hüten, diese Worte des HERRN irgendwie zu relativieren, auch weil ich weiß, dass wir eher sehr dahinter zurückbleiben, statt über das Ziel hinaus zu schießen.
Aber ich habe mich gefragt, in welcher Situation der Apostel Paulus obiges Wort gesagt hat, weil das oft hilft, bestimmte Aussagen besser einzuordnen. Und was er da von sich preisgibt, dies macht so gar keinen abgehobenen oder heldenhaften Eindruck. Schon die Tatsache, dass er diesen Brief aus dem Gefängnis schreibt, zeigt doch, dass er seine Situation eben nicht nach Belieben gestalten kann. Und, dass er von Mangel und Hunger spricht und auf die Hilfe anderer angewiesen ist, zeugt eher von Bedürftigkeit und auch von Demut. Einmal sagt er sogar, dass er fast am Leben verzweifelt wäre (2. Korinther-Brief 1, 8). Wie passt das mit unserem Monatsspruch zusammen? Ich kann Euch keine perfekte Antwort darauf geben, aber ich kann versuchen zu erklären, was mir hilft, den Sinn zu verstehen.
Da ist zunächst das Wörtchen „vermag“ mit seiner Grundform „vermögen“, was lediglich die Fähigkeit zu etwas, die Eignung, das Können ausdrückt und noch nicht ein aktives Handeln. Noch deutlicher wird das vielleicht an dem Hauptwort „Vermögen“ (im Sinne von Finanzen, Besitztümern, Kapital usw.) Auch das ist erst einmal ein neutraler Ausdruck, der noch nichts über seine Verwendung aussagt. Das ist dann das Arbeitsfeld sogenannter Vermögensberater, die uns (nicht ganz selbstlos) sagen, wie wir unser Kapital einsetzen sollten.
Wenn Paulus hier also schreibt: „Alles vermag ich..“, so sagt das noch nichts darüber, ob und wann und wie er diese Fähigkeit einsetzt. Der Herr Jesus z. B. wäre bei Seiner Kreuzigung in der Lage gewesen, 12 Legionen Engel zu seiner Befreiung einzusetzen, aber Er machte keinen Gebrauch davon. Neben dem „Vermögen“ gibt es also weitere „Rahmenbedingungen“, die Paulus in diesem Falle so umschreibt: „in dem, der mich kräftigt“ (in Jesus Christus).
Das ist keine leere Redewendung, kein frommes Mäntelchen, sondern eine grundlegende Voraussetzung, damit aus dem „Vermögen“ ein segensreiches Handeln für uns oder andere wird. Es ist ganz entscheidend, dass wir uns in Übereinstimmung mit dem Willen und den Absichten Gottes befinden, sonst „verpulvern“ wir unsere Möglichkeiten oder erleben sogar Niederlagen. Gott erwartet auch nicht lauter Heldentaten von uns. Das kann mitunter ganz unspektakulär so aussehen, indem man, wie Paulus es für sich sieht, und lernt, sich mit seiner Lage abzufinden (Vers 11), ohne sich zurückzuziehen oder die Hände in den Schoß zu legen. Wenn Paulus davon spricht, dass das für ihn ein Lernprozess war und ist, und wenn sogar vom Herrn Jesus gesagt wird, dass „Er an dem, was er litt, den Gehorsam lernte“ (Hebräer-Brief 5, 8), dann sollten wir nicht erwarten, dass es uns leichter fällt, richtig damit umzugehen und immer zu wissen, was gerade dran ist.
Wenn ich durch das Gesagte jetzt den Eindruck erweckt haben sollte, dass ich letztlich doch alles klein rede, dann möchte ich zum Schluss nochmals ausdrücklich Mut machen, dieses Wort so zu nehmen, wie es dasteht. Ich bin überzeugt, dass wir bei weitem noch nicht alles erkannt und noch viel weniger ausgeschöpft haben, was uns in Jesus Christus geschenkt ist. Vielleicht sollten wir mehr dem nachspüren, denn die Bibel spricht an vielen Stellen davon. Ich wollte aber auch deutlich machen, dass das Ganze in einen Rahmen hinein gehört: In die Abhängigkeit zu Dem, der dafür sein Leben eingesetzt hat. So verstanden, erschließt es neue Möglichkeiten und Kräfte für den Glaubensalltag und bewahrt uns vor Enttäuschungen.
Liebe Grüße und einen gesegneten Monat Mai,
Ihr Karl- Heinz Pohle