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September

Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.


Matthäus 18, 3

 

Liebe Geschwister,

es gibt Bibelworte, zu denen wir schnell ein Ja finden, weil sie für uns einleuchtend und nachvollziehbar sind. Und doch besteht gerade bei ihnen die Gefahr, sie zu unterschätzen, wenn es um die praktische Umsetzung geht. Zu diesen Worten zähle ich auch unseren neuen Monatsspruch. Wie viel ist schon über dieses Thema gesprochen worden, und ich kann mich nicht entsinnen, dass es da mal den leisesten Widerspruch gegeben hätte. Das wäre ja auch noch, wo es doch ein Wort von unserem Herrn selbst ist! Aber wie gehen wir in der Praxis damit um? Ist uns schon einmal bewusst geworden, dass es der Herr als Auswahlkriterium für das Hineinkommen ins „Himmelreich“ nennt?
Ich verzichte an dieser Stelle bewusst auf die theologische Erörterung dieses Begriffes, weil das der ganzen Ernsthaftigkeit dieses Themas die Spitze nehmen könnte. Dafür möchte ich lieber nach Gründen fragen, warum wir uns mit der Umsetzung dieses Wortes oft so schwer tun.
Ist uns wie bei Nikodemus unser Verstand oder unsere Lebenserfahrung im Wege? Als er eine ähnlich lautende Antwort erhielt (Joh. 3,3ff), fragte er sinngemäß zurück: Wie soll das gehen? Man kann doch die Zeit nicht zurückdrehen, auch wenn man das mitunter gerne möchte, und noch mal von vorne anfangen. Kann man denn die Lernprozesse, die positiven und negativen Erfahrungen unseres Lebens einfach übergehen, die mit dazu beigetragen haben, eben diese unverwechselbaren Persönlichkeiten zu werden, die wir jetzt sind? Und wäre das wirklich so wünschenswert? Auf jeden Fall wäre das noch lange keine Garantie, dass wir nicht dieselben oder andere Fehler wieder machen und erneut schuldig werden würden. Auch wenn mancher ein verklärtes Bild von seiner Kindheit haben mag oder wirklich eine frohe, behütete Kindheit hatte, möchten wir das alles noch einmal erleben, nochmals zur Schule zu gehen, einen Beruf zu erlernen usw. und manchen schmerzhaften Wachstumsprozess neu zu durchleben?
Sind wir älter Gewordenen manchmal nicht sogar froh, unter ganz anderen Bedingungen groß geworden zu sein, ohne all die „Errungenschaften“ unserer Zeit mit ihren Schattenseiten?
Und da ist ja auch noch die ganz andere Linie, die in der Bibel zu erkennen ist: Gott will doch eigentlich unser geistliches Wachstum. Er will nicht, dass wir auf Dauer Unmündige bleiben, von jedem Wind der Lehre hin und her getrieben (Eph. 4,14). Es wäre auch unnatürlich und vielleicht sogar krankhaft, über die Zeit hinaus von „Babynahrung“ abhängig zu sein und keine feste Nahrung zu vertragen (Hebr. 5,12-14). Gottes Ziel mit uns ist, dass wir zu einem erwachsenen Mann, zum vollen Wuchs der Fülle Christi heranwachsen (Eph. 4,13; Hebr. 6,1).
Ja, was gilt denn nun eigentlich, das zuletzt Gesagte oder unser Monatsspruch? Offenbar beides, sonst würde es nicht in der Bibel stehen, aber wir wollen versuchen, es noch etwas einzuordnen, damit es besser verständlich wird (ich hoffe, dass mir das gelingt).
Gott will nicht, dass wir in unserem Menschsein wieder zu Kindern werden, kindische Verhaltensweisen an den Tag legen, keine Verantwortung für unser Handeln übernehmen, alles, was wir erlebt und erfahren haben, auszublenden und alles Gelernte zu vergessen. Wenn das aus irgendwelchen Gründen ungewollt im Leben eines Menschen geschieht, z. B. bei Demenz, dann merken wir, wie befremdlich und unnatürlich uns das erscheint bzw. wie schlecht wir damit umgehen können. Das kann also nicht gemeint sein. Was aber dann?
Ich möchte unseren Blick auf zwei Wörter lenken: „umkehren“ und „wie“. An ihnen wird deutlich, dass es um einen geistlichen Prozess geht, der allerdings Parallelen im normalen Leben hat.
Neben dem, was wir im Umkehrschluss eher negativ angemerkt haben, bedeutet „wie ein Kind zu sein“: ein unerschütterliches Vertrauen zu haben, auch wenn nicht alles nach unseren Wünschen ausgeht, eine gewisse Unbekümmertheit, die zwar nicht leichtsinnig ist, aber darum weiß, dass wir in der Hand eines Stärkeren, nämlich unseres Vaters im Himmel sind. Und dass wir auf alles Machtgehabe verzichten, das zu einem Kind in keiner Weise passt.
Letzteres war ja der Anlass, warum der Herr Jesus überhaupt dieses Wort gesagt hat (V. 1-4).
Da das unserer natürlichen Entwicklung in vielen Dingen entgegensteht, bedarf es bewusster „Umkehr“, nicht nur einmalig, wie bei unserer „Bekehrung“, sondern immer dann, wenn wir merken, dass unser Vertrauensverhältnis zum Vater im Himmel oder auch unser Verhältnis zu Seinen Kindern beeinträchtigt ist. Wir dürfen mit allem Versagen, mit aller Schuld zu Ihm kommen immer wieder Seine Nähe suchen und uns bei Ihm bergen. Und wir dürfen uns dabei gegenseitig seelsorgerlich unterstützen.


Herzliche Grüße und Segenswünsche
Euer
Karl-Heinz Pohle