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Und so besitzen wir das prophetische Wort umso fester und ihr tut gut, darauf zu achten als auf eine Lampe, die an einem dunklen Ort leuchtet, bis der Tag anbricht und der Morgenstern in euren Herzen aufgeht.
2. Brief des Petrus Kap.1 Vers 19
Lieber gläubiger Leser,
es ist wahrscheinlich das erste Mal, dass ich mich mit einem Wort aus dem 2. Petrusbrief näher auseinandersetzen muss, und der neue Monatsspruch hat es da gleich in sich. Es werden einige Begriffe oder Bilder verwendet, die jeder/jedes für sich Klärungsbedarf hat.
Da ist das „prophetische Wort“: Ich habe den Eindruck, dass es hier nicht in erster Linie um die im 1. Korintherbrief Kap. 12, 10; Kap. 14, 1-5 und Römerbrief Kap. 12, 6 genannte Gnadengabe geht, deren Bedeutung für die Gemeinde oft unterschätzt wird, weil sie als Konkurrenz zum offenbarten Wort Gottes missverstanden wird. Prophetisches Wort ist aber nie dem Belieben des Weitergebenden anheimgestellt, sondern muss mit dem Gesamtzeugnis der Heiligen Schrift übereinstimmen.
Es ist auch immer zu prüfen, ob und wann solch ein Wort weiter zu geben ist und für welchen Personenkreis es bestimmt ist (im Alten Testament war das meist konkret vorgegeben). Heute dient es dazu, die Gemeinde zu erbauen, zu ermahnen, zu trösten und zu belehren, bis hin zu konkreten Weisungen für das geforderte Handeln und Entscheiden in der Gegenwart.
Aber, wie gesagt, in unserem Falle verstehe ich es eher als das von den alttestamentlichen Propheten überlieferte Wort Gottes, das wir ja tatsächlich „besitzen“ dürfen, speziell die Dinge, die auf Jesus Christus und Sein Erlösungswerk hinweisen (Die Propheten brauchten diese Gabe natürlich auch, aber sie wurde meist punktuell und auftragsbezogen verliehen). Bezeichnend ist für mich, dass Petrus bei der Herleitung seiner Gedanken nicht zuerst Kreuz und Auferstehung Jesu im Blick hat, sondern den Berg der Verklärung und die Unterredung mit Mose und Elia, den „Prophetengestalten“ schlechthin, mit denen der Herr Jesus Seinen „Ausgang in Jerusalem“ besprach.
Prophetie hat aber auch ihre Grenzen. Das wird im Bild von der Lampe deutlich, die an einem dunklen Ort leuchtet. Sie hellt mit ihrem Lichtkegel immer nur Ausschnitte der sonst dunklen Umgebung auf und hat auch nur eine bestimmte Reichweite. Trotzdem werden wir aufgefordert, darauf zu achten, um den rechten Weg und eventuelle Gefahren rechtzeitig zu erkennen, was mitunter anstrengend und ermüdend sein kann. Im übertragenen Sinn heißt das, dass wir uns nicht auf unserer Erkenntnis ausruhen, sondern uns immer wieder in vielfältiger Form mit dem Worte Gottes befassen und es auch ausleben sollten.
Prophetie hat auch zeitliche Grenzen. Oft ist sie nur in eine ganz bestimmte persönliche oder geschichtliche Situation hinein gesprochen und man darf sie nicht einfach verallgemeinern. Manchmal ist sie eher eine Zusammenschau unterschiedlicher Zeitepochen, die aus der Sicht Gottes aber einen heilsgeschichtlichen Zusammenhang haben. Jemand hat das mal mit einem Gebirgspanorama verglichen: Man sieht nur die Berggipfel, als würden sie nahe beieinander liegen. Wie groß die Täler dazwischen sind, bleibt unseren Blicken leider verborgen. Diese Tatsache mahnt uns, im Umgang mit prophetischen Aussagen Vorsicht walten zu lassen und das Erkannte nicht so schnell in ein System oder einen Zeitplan zu pressen. Es gibt dafür genügend negative Beispiele aus der Kirchengeschichte.
Und Prophetie hat Vorläufigkeitscharakter. Das bringt unser Monatsspruch zum Ausdruck (bis der Tag anbricht…), wird aber auch sonst in der Bibel bezeugt (vergl. 1. Kor. 13, 8-10). Das heißt also, sie wird einmal nicht mehr nötig sein, wenn das „Vollkommene“ da sein wird. Ich denke aber nicht, dass das gegenwärtig schon der Fall ist, wie manche meinen, die in dem Vollkommenen den abgeschlossenen biblischen Kanon sehen. Denn die Begriffe „Tag“ und „Morgenstern“ deuten eher in eine andere Situation, ohne dass ich ihnen zu viel Bedeutung beimessen möchte. Man könnte hier sicher an den „Tag des HERRN“ denken, der gerade in der Prophetie immer wieder eine große Rolle spielte, oder beim Morgenstern an die Selbstaussage Jesu in Offenbarung Kap. 22, 16, aber ich will da bewusst nicht zu viel hineinlegen. Es wird einfach eine „Zeit“ geben, wo die Nacht endlich vorbei ist und ein neuer Tag anbricht, so hell, dass eine Lampe nicht mehr nötig ist. Damit will ich das prophetische Wort keinesfalls abmindern, denn Petrus sagt ausdrücklich: „Ihr tut gut daran, darauf zu achten“. Es ist also etwas sehr Wichtiges, aber Gott hat uns noch viel mehr an die Hand und ins Herz gegeben, damit wir unbeschadet an das Ziel gelangen. Lasst uns gerade in dunklen Zeiten (im tatsächlichen und übertragenen Sinn) diese Hilfen in Anspruch nehmen, auch indem wir uns gegenseitig dabei behilflich sind.
Ich wünsche Ihnen einen nicht so dunklen Monat November,
Ihr Bruder Karl- Heinz Pohle